Dalmatiner sind beliebte Familien-Hunde, aktive Wegbegleiter mit sanftem Charakter.
Uns allen sind sie in den klassischen Farben bekannt, entweder weiß mit schwarzen Tupfen, oder weiß mit braunen Tupfen.
Genetisch steckt in der Rasse der Dalmatiner noch eine Vielzahl weiterer Farben, z.B. helle Tupfen (diese werden dann entweder als Lemon bezeichnet, wenn der Hund einen schwarzen Nasenspiegel hat, oder als Orange, wenn der Hund einen braunen Nasenspiegel hat). Des Weiteren gibt es Dreifarbigkeit, z.B. mit gestromten Tupfen (brindle) oder als black-and-tan-Muster (helle und dunkle Punkte in der Farbverteilung wie z.B. beim Dobermann). So mancher reinrassige Dalmatiner ist genetischer Träger dieser Merkmale (diese Varianten sind genetisch rezessiv, würden also nur bei reinerbigen Hunden optisch zum Tragen kommen).
Für jede Hunderasse sind bestimmte Merkmale charakteristisch.
Ohne diese Erkennungsmerkmale wäre eine Rassezucht logischerweise undenkbar. Deshalb wurden sie weltweit in sogenannten Standards festgeschrieben, die für alle registrierten Züchter bindend sind.
Wie sollte man sonst einen Schäferhund vom Dackel unterscheiden?
Im Dalmatiner-Rassestandard sind unter anderem auch die „erwünschten“ Farben festgelegt, also weiß mit schwarzen oder braunen Tupfen. Für die Zucht dürfen nur Tiere in diesen Farben eingesetzt werden. Natürlich können in manchen Würfen (je nach genetischer Ausstattung der Elterntiere) auch Welpen in den genannten Fehlfarben fallen; diese Welpen sind dann zwar genauso „gut“ oder „schlecht“ wie ihre Geschwister, sind aber von der Weiterzucht ausgeschlossen. Dank Gentests und Ahnentafeln haben VDH/FCI-Züchter jedoch meist genügend Informationen zur Hand, um die genetische Ausstattung der Elterntiere bezüglich dieser rezessiven Farb-Allele bereits vorab zu kennen.
Immer wieder flammt die Diskussion auf, warum diese seltenen Farbvarianten denn verboten seien, und warum der Dalmatiner-Standard denn nicht dahingehend geändert werden könne, dass diese Farben auch für Zuchttiere erlaubt werden. Nun, ein Standard kann tatsächlich geändert werden, dies geschah zuletzt im Jahr 2011. Die FCI sieht hierfür bestimmte Mechanismen vor, z.B. darf der Standard nur vom Ursprungsland der Rasse geändert werden, in diesem Fall also Kroatien.
Eine Änderung des Standards birgt jedoch Gefahren, wie man anhand einiger Rassen erkennen kann.
Warum haben Deutsche Schäferhunde diese extreme „Raketenstellung“? Warum hat der Mops in den letzten Jahrzehnten eine derart verkürzte Schnauze bekommen? Warum ist der Dackel immer länger geworden, so dass er oftmals unter Dackellähme leidet? Diese Liste ließe sich noch fortsetzen. Alle Beispiele haben eines gemeinsam: Züchter haben nach dem Seltenen gesucht, nach dem Übertriebenen, der Standard wurde mehrfach angepasst, die „übertriebensten“ Hunde wurden prämiert, immer mehr Züchter haben die neuen „Zuchtziele“ übernommen und somit ganze Rassen an den Rand der Qualzucht gebracht.
Zucht bedeutet, die Rasse zu erhalten und gegebenenfalls die Gesundheit zu verbessern, nicht aber die Rasse zu verändern!
Wenn man diese Gedanken im Hinterkopf hat, wird schnell klar, dass ein Standard nur dann geändert werden sollte, wenn es der Gesundheit der Rasse dient. Sonstige Anpassungen aus Gründen der Optik, der Mode, der Seltenheitszucht führen meist ins Verderben.
Trotzdem keimt immer wieder die Frage auf, warum man den Standard nicht dennoch ändern könne. Schließlich würden andere Farben angeblich zumindest keine Nachteile mit sich bringen, und die Welt wäre doch bunter mit vielfarbigen Dalmatinern. Bunter schon, aber nicht besser. Gerne wird dann gleich noch behauptet, die FCI-Züchter seinen ein Haufen konservativer Besserwisser, die alles Neue ablehnen würden. In der Not ersetzt Polemik eben die Sachlichkeit.
Ehrlich gesagt muss ich an dieser Stelle dann immer schmunzeln. Warum? Nun, ich denke an Fußball, und stelle mir dort ein ähnliches Szenario vor. Stellt euch vor, es ist WM, und Milliarden von Menschen freuen sich auf sechs Wochen erstklassigen Fußball. Und pünktlich zu jeder WM treten ein paar Leute an die Öffentlichkeit, die fordern dass man im Fußball das Handspiel erlauben solle. Schließlich könne man ja Tore auch mit der Hand erzielen, es gibt sogar einige Beispiele hierfür in der Fußball-Geschichte. Es wäre also eine Bereicherung für den Fußball, wenn man zusätzlich auch die Hand verwenden dürfte. Nun, man muss kein Fan sein, um zu verstehen dass Fußball nach Regeln funktioniert. Diese Regeln gelten weltweit, nur deshalb versteht auch ein Zuschauer aus Afrika oder Asien, warum der europäische Schiedsrichter gerade abgepfiffen hat. Eine Änderung der weltweit geltenden Regeln ist nur dann gewünscht, wenn es erkennbare Nachteile korrigieren würde. Fußball wäre nicht länger Fußball, wenn man mit der Hand spielen dürfte.
Ist denn überhaupt wahr, dass Lemon keine gesundheitlichen Nachteile mit sich bringen würde? Hierzu muss man zweierlei Überlegungen machen. Als Genetiker würde ich diese Aussage zumindest nicht ungeprüft hinnehmen. Die Farbe lemon entstand durch eine Mutation in einem Gen (MC1R). Dieses Gen codiert für einen Rezeptor (Melanocortin-1-Rezeptor), welcher in der Membran von Melanocyten vorkommt. Er kontrolliert Haarfarbe und Hautbräunung, erfüllt also eine Funktion im Körper. Beim Menschen sind über 30 unterschiedliche Varianten dieses Gens bekannt, eine davon führt zu erhöhter Anfälligkeit für malignes Melanom (Hautkrebs). Ob die Lemon-Mutation beim Dalmatiner also völlig „unschädlich“ ist, ist bisher nicht wissenschaftlich beantwortet und sei deshalb mit einem Fragezeichen versehen.
Die zweite Überlegung ist eine rein züchterische: sinnvolle Zucht setzt voraus, dass man eine möglichst große Auswahl an Zuchttieren hat, über die man möglichst viele Informationen sammelt. Immer wieder gibt es kritische Stimmen, die den VDH ablehnen. Zwar geschieht dies in den meisten Fällen aus Unwissenheit, dennoch ist natürlich auch im VDH nicht alles Gold was glänzt. Für einen Züchter stellt sich die Frage aber gar nicht, ob er den VDH „mag“ oder „ablehnt“, denn die VDH/FCI-Zucht ist die einzige Möglichkeit, um aus hunderten registrierter Zuchttiere den optimalen Partner auszuwählen, über den man dank Ahnentafeln reichhaltige Informationen sammeln kann. Entweder ist man Züchter im VDH/FCI und somit Teil der internationalen Dalmatiner-Zucht-Gemeinschaft, oder man vermehrt Hunde ohne jegliche echte Selektionsmöglichkeit und Unterstützung. In verschiedenen Ländern sind in letzter Zeit Vereine entstanden, die sich ihre eigenen Papiere „malen“, jedoch nur eine Handvoll Zuchttiere zur Verfügung haben. Somit steht ihnen nur ein verschwindend kleiner Genpool für die Zucht zur Verfügung, über einige Zuchttiere liegen nicht einmal Abstammungs-Informationen vor. Auch das allgemeine Wissen der registrierten Züchter steht diesen “Separatisten“ nicht zur Verfügung.
Diese Vereine gaukeln vor, sich für die Seltenheitszucht von Lemon und Langhaar einzusetzen, um den Genpool der gesamten Rasse zu vergrößern. An dieser Stelle sträuben sich jedem Fachmann die Haare. Wie will man mit einer Handvoll Tieren, deren Welpen keine echten Ahnentafeln erhalten und somit niemals in der FCI-Zucht eingesetzt werden können, jemals Einfluss auf den Genpool der gesamten Rasse nehmen? Und wieso wird von einer Vergrößerung des Genpools gesprochen, wenn diese Züchter sich absichtlich aus der FCI-Züchtergemeinschaft ausgrenzen und statt hunderten Zuchttiere nur eine Handvoll zur Verfügung haben? Im Gegenteil, hier wird also die Schaffung eines genetischen Engpasses (welcher mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Anhäufung negativer genetischer Eigenschaften oder gar Krankheiten führt)als Erweiterung des Genpools verkauft.
Ich möchte das anhand von Zahlen verdeutlichen (keine Angst, es wird nicht allzu wissenschaftlich 🙂 ):
Nehmen wir an, der Hund verfügt über 20.000 Gene, und jedes Gen würde in fünf möglichen Varianten vorkommen. Natürlich bräuchte man eine große Anzahl an Tieren, damit alle Gen-Varianten auch in unterscheidlichsten Kombinationen in der Population vorkommen. Das nennt man dann genetische Vielfalt. Wenn man nun eine neue Genvariante eines einzigen Gens einbringen würde (was bei Lemon ja nicht einmal der Fall ist, da die Variante schon im Genpool vorhanden ist), würde man den Genpool gerade mal um ein tausendstel Prozent erweitern!
Der Preis für diese „Erweiterung“ wäre im Falle von Lemon, dass man z.B. anstatt mit 1000 Zuchttieren (in denen vermutlich nahezu alle Genvarianten und -kombinationen vertreten sind) nur mit 10 Tieren züchten könnte.
Man würde die Auswahl an Zuchttieren also um 99% reduzieren, und somit auch die Varianten für ALLE Gene und -kombinationen extrem einschränken. Dies nennt man genetische Verarmung. Wäre auch nur eines der 10 Tiere Träger für eine genetische Krankheit, wären 10% aller Nachkommen dieser „Zuchtgemeinschaft“ ebenfalls Träger! Somit können negative genetische Anlagen im Nu zum Problem werden.
In der Biologie geht man davon aus, dass eine Population erst dann überlebensfähig ist, wenn sie aus ca. 80-100 nichtverwandten Tieren besteht. Da bei Rassezucht sowieso eine gewisse genetische Verwandtschaft besteht, sollte die Gruppe eher aus 500-1000 Tieren bestehen. Anhand dieser Überlegungen erkennt man schnell, dass die Zucht auf ein Einzelmerkmal in einer kleinen Population extrem riskant ist, wissenschaftlich gut geplant und begleitet sein müsste und natürlich nur dann akzeptabel wäre, wenn die Rasse einen hohen Nutzen davon hätte, also z.B. eine gesundheitliche Verbesserung (z.B. „Reparatur“ einer Erbkrankheit). Rein optische Eingriffe wäre nicht zu rechtfertigen!
Hinzu kommt, dass die Seltenheitszucht nahezu immer dazu führt, dass alle anderen Merkmale vernachlässigt werden. Ich kenne keinen einzigen in der Dissidenz „beworbenen“ bzw. dort produzierten Lemon-Dalmatiner, der in seinen sonstigen Eigenschaften (z.B. Körperbau) auch nur halbwegs einem idealen Dalmatiner entsprechen würde und somit in der Zucht zum Einsatz kommen sollte. Warum sollte man also eine ganze Reihe an Nachteilen und Kompromissen akzeptieren, die Rasse allgemein verschlechtern, den Genpool derart einengen, nur um auf ein seltenes Merkmal zu züchten, das zudem keinerlei Vorteile bringt?
Verantwortungsvolles Züchten ist nur in einer großen Gemeinschaft Gleichgesinnter möglich, erfordert ein hohes Maß an Wissen, einen ausreichend großen Genpool (somit also ausreichend viele Zuchttiere), regen Austausch und einen „gemeinsamen Nenner“ aller Beteiligten.
Leider ist in naher Zukunft keine Einsicht bei den Seltenheits-Fanatikern zu erwarten, im Gegenteil. Das Lemon-Drama steuert auf eine Fortsetzung zu, denn im Moment bahnt sich bereits ein Langhaar-Drama an. Und in der nächsten Stufe wird dann die Kombination aus Lemon und Langhaar angestrebt? Hier kann auch der gut informierte Welpenkäufer gegensteuern, indem er den Wunsch nach Seltenem nicht an Lebewesen auslebt und vollmundige Werbetexte kritisch prüft.
Zucht hat viel mit Verantwortung zu tun, sowohl bei den Züchtern als auch bei den Welpenkäufern.
© Dr. Frank Pfannenschmid 2017
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Beispiele ausgewählter Hunderassen, einst und jetzt. In allen gezeigten Rassen wurde das gewünschte Erscheinungsbild (Standard) mehrfach an „Modeströmungen“ angepasst. Die Folge war eine immer extremere Zucht auf optische Einzelmerkmale (Seltenheitszucht), was letztendlich auf Kosten der Gesundheit ging. Verantwortungsvolle Zucht bedeutet, die jeweilige Rasse zu erhalten; sogenannte Verbesserungen (insbesondere die Seltenheitszucht auf optische Einzelmerkmale) führen oftmals zur Vernachlässigung des Gesamtbildes bis hin zu gesundheitlichen Problemen („Qualzucht“).